"Ich bin sehr dankbar für dieses Play-In"

Text von Jochen Mettlen, Fotos von Marc Komoth und Laurent Fuhrmann

Kevin Houben hat das diesjährige Play-In geleitet. Damit war dem Musikverband Födekam Ostbelgien erneut ein großer Coup gelungen. Houben ist ein weltweit gefragter Dirigent, Dozent und Komponist, der sich vor allem in der Blasmusikwelt einen Namen gemacht hat. Wir sprachen mit dem 46-jährigen Belgier.

Kevin Houben hat unter anderem Trompete, Orchesterleitung und Komposition am Lemmens-Institut in Leuven studiert. Mittlerweile ist er ein weltweit gefragter Komponist, Dirigent und Dozent. Er unterrichtet am Lemmens-Institut (Luca), am Musikkonservatorium Antwerpen und an der Musikakademie in Genk. Er ist Dirigent der Harmonie Peer und weltweit als Gastdirigent tätig. Sehr erfolgreich ist Houben auch als Komponist. Bisher hat er rund 90 Werke geschrieben, davon 60 Blasmusikstücke.

Kevin Houben, wie sind Sie mit dem Verlauf des Play-In zufrieden?

Das war wirklich ein tolles Play-In - für die Musiker, für das Publikum und auch für mich. Es war hervorragend organisiert, mit einem sehr straffen Zeitplan und einem Programm, das in dieser kurzen Zeit eine echte Herausforderung darstellte. Besonders auffallend war für mich das hohe musikalische Niveau des Orchesters. Die Tatsache, dass es sich nicht nur um ganz junge Musiker handelte, war da ein Vorteil. Das Orchester benötigte echt musikalische Kompetenz, Ausdauer und Kraft, um dieses Programm zu bewältigen. Hier hat die Altersstruktur, von 16 bis 61 Jahren, wirklich gut gepasst.

Als Komponist war es für mich eine Herausforderung, ein Programm ausschließlich aus meinen eigenen Werken zusammenzustellen. Jeder Komponist hat seinen eigenen Stil und ich wollte trotzdem auch etwas Abwechslung in den Verlauf des Abends bringen; ich hoffe, dass mir das gelungen ist. Für mich war es jedenfalls eine riesige Freude, dieses Programm so einstudieren und aufführen zu dürfen. Es war schwer, aber es ist glaube ich gelungen!

Es hat mich gefreut, dass sowohl die Berufsmusiker im Orchester als auch die Amateure, die jungen und die älteren Musiker, mir die Rückmeldung gegeben haben, dass sie es interessant fanden und dass ihnen meine Arbeit gefallen hat, dass sie an diesem Wochenende etwas gelernt haben. Besonders schön war, dass es auch menschlich gepasst hat. Die Musiker haben mich glaube ich auch als Mensch kennengelernt, während der Proben, aber auch davor und danach. Diese Zusammenarbeit ist mir sehr wichtig und das ist bei diesem Play-In wirklich sehr gut gelungen.

Wir waren während des Wochenendes immer fokussiert auf das Abschlusskonzert. Ich hatte auf der Bühne ein richtig gutes Gefühl! Natürlich gäbe es noch Details zu verbessern, Kleinigkeiten dürfen bei einem solchen Projekt auch mal schiefgehen, aber ich habe mich wirklich musikalisch beim Konzert im Triangel sehr wohlgefühlt!

Ich will auch noch die hervorragende Organisation von Födekam loben. Die Kommunikation zwischen dem Verband, den Musikern und mir war immer ausgesprochen deutlich und respektvoll. Es war in jeder Hinsicht alles bestens geregelt! Ich bin wirklich sehr dankbar, dass ich dieses Play-In erleben durfte und wünsche euch in Ostbelgien viel Erfolg bei euren weiteren Projekten!

Wie gehen Sie eigentlich die Leitung eines Play-In an?

Ich finde es interessant, auf allen musikalischen Niveaus zu arbeiten. Mir geht es vor allem um das Erlebnis und die Energie, die dabei vermittelt wird. Ich hoffe auch, die jungen Menschen inspirieren zu können und dass die Faszination Musik sie dazu animiert, ihr Instrument noch besser zu beherrschen. Das Niveau macht für mich keinen Unterschied. Jeder soll sein Bestes geben. Ziel ist es, sehr gut in einer angenehmen Atmosphäre zu arbeiten und gemeinsam etwas zu erreichen. Dabei kommt es auf die technische Spielbarkeit, das Klangerlebnis und die Musikalität an. Als Dirigent beschäftige ich mich viel mit Gruppendynamik. Jeder soll vor jedem Respekt haben. Ob dritte Trompete oder Soloflöte, macht dabei keinen Unterschied. Es geht um die Gruppenkultur. Dass jeder sein Bestes gibt und dass sie stolz auf einander sind. Das finde ich für ein Orchester äußerst wichtig.

Ich bin auch der Meinung, dass Proben zu 80 Prozent aus Stücken bestehen sollen, die jeder nach einigen Proben spielen kann. Dann kann man sich in puncto Klang, Intonation, Zusammenspiel weiterentwickeln und an den Details arbeiten. Das habe ich lieber, als sehr schwere Stücke zu nehmen, die die Musiker nach zwei Tagen halbwegs spielen können. Dann „überlebt“ man auf der Bühne, aber damit hat man langfristig nichts erreicht.

Sie selbst sind Trompeter und kommen aus der Blasmusikwelt. Was bedeutet Ihnen das?

Ich bin sehr stolz darauf, aus der Blasmusikwelt zu kommen. Ich schreibe auch sinfonische Werke und habe Projekte als Dirigent und Komponist. Mit viel Freude dirigiere ich die Harmonie von Peer, meinen Heimatverein. Als 12-Jähriger habe ich dort meine ersten musikalischen Schritte gemacht und war später zudem erster Trompeter der Fanfare Achel. Das Musikvirus hat mich mit 12 Jahren gepackt und begeistert. Daraus ist mein Beruf geworden, aber das ist eigentlich nicht wichtig. Egal auf welchem Niveau können Menschen Musik genießen und gemeinsam in einem Orchester spielen, ob Harmonie, Fanfare, Brassband, Sinfonieorchester oder Kammermusik. Das ist ein so schönes Hobby. Deshalb setze ich mich so sehr ein und möchte den Leuten etwas beibringen und meinen Enthusiasmus teilen.

Welches Stück war Ihr Durchbruch?

Meine Karriere als Komponist startete eigentlich mit „Arcana“. Mit diesem Werk habe ich zwei Wettbewerbe gewonnen. Zwei Jahre später habe ich für die Fanfare Achel „The Lost Labyrinth“ geschrieben, das sie beim WMC in Kerkrade vorgetragen hat. Ein Höchststufenstück mit Gesang, das war damals etwas ganz Neues und ist wie eine Bombe eingeschlagen. Diese Premiere hat meiner Karriere einen unglaublichen Schub gegeben. „Lake of the Moon“ ist mein meistgespieltes Stück, auch weil es mit dem Schwierigkeitsgrad 4 zugänglich und spielbar bleibt. Auf YouTube wurde das Video über 20.000 Mal angeschaut, das ist für meine Verhältnisse ziemlich viel. Mit meinem Werk „Where Angels Fly“ bin ich mit der Harmonie Peer Vize-Europameister geworden. Es ist ein derart komplexes Werk, für das ein Top-Höchststufenorchester drei Monate benötigt, um es musikalisch zu verstehen und umzusetzen. Das ist eines meiner extrem schwierigen Stücke.

Sie schreiben auch viele Auftragskompositionen. Wie gehen Sie das an?

Ich überlege genau, was ich annehme und was nicht. Ich möchte ja auch für meine Familie da sein. Seit fünf Jahren habe ich ein System, wie ich meine Zeit am besten einteile um glücklich zu sein, und das ohne zu viel Stress. Dennoch möchte ich gleichzeitig meine Ambitionen umsetzen. Deshalb komponiere ich von 9 bis 13, 14 Uhr. Diese Zeit ist mir heilig. In den Sommermonaten habe ich an einem Werk für eine Harmonie im französischen Nantes geschrieben. Es hat einen Schwierigkeitsgrad von 5 bis 6 und musste für Anfang September fertig sein. Ich habe 30 Tage für diese Komposition eingeplant, um die Deadline halten zu können. Dieses Einteilen meiner Zeit ist für mich sehr wichtig.

Wie gehen Sie thematisch vor?

Das ist unterschiedlich. Einige Orchester geben mir freie Hand, andere schlagen ein Thema vor. Die Themen müssen mich inspirieren. Ich habe meistens ein sehr gutes Gespräch mit dem Auftraggeber. Er liefert mir Angaben zum Verein, zur Historie der Ortschaft und wir besprechen, was aus Sicht des Vereins in die Komposition rein soll. In Nantes ist Jules Verne geboren, das war natürlich ein sehr interessanter Ausgangspunkt für die Auftragskomposition. Überall gibt es Legenden, Sagen oder Geschichten. Für eine Fanfare habe ich zum Beispiel eine lokale Legende musikalisch verarbeitet. Da ich viel lese, habe ich im Laufe der Zeit eine Liste mit möglichen Titeln zusammengestellt. Ein belgischer Sänger sagte mal, einen ‚guten Songtitel erfindest du nicht, den entdeckst du‘. Und wenn ich freie Hand für eine Komposition habe, dann schaue ich auf meine Liste. Ich muss die Freiheit haben zu entscheiden, worüber ich schreibe. Ich lasse mir nicht mehr alle Themen aufschwätzen (lacht).Es kann aber auch sein, dass es mir hilft, wenn die Vereine mit ihren Ideen kommen. Die sind meistens sehr gut. Das geht in beide Richtungen.

Welche Rolle spielt der Schwierigkeitsgrad?

Ich bin der Meinung, dass leichte Musik nicht einfach sein muss. Harmonisch kann man da ganz tolle Dinge machen und es bleibt dennoch spielbar für Kinder. Jan Van der Roost hat auch einfache Werke geschrieben, dennoch merkt man die Hand des großen Meisters. Schostakowitsch hat für seinen Sohn ein Klavierkonzert komponiert. Er war kein Toptalent und das Stück ist wirklich spielbar, aber man sieht, dass eine phänomenale Idee dahinter steckt. Das liebe ich. Ich schreibe auch Schwierigkeitsgrad 2, aber mein Name wird im Moment mehr an schwierige Werke gelinkt. Und das mache ich natürlich auch gerne. Ich finde die Schwierigkeitsgrade 2, 3 nicht minderwertig, absolut nicht. Mein neuestes Stück ist Grad 3. Es ist genauso schwierig, ein gutes Stück für Grad 3 wie für Grad 6 zu schreiben.

Wie viele Werke haben Sie geschrieben?

Etwa 90 Werke, davon 60 Blasmusikstücke. Hinzu kommen sinfonische Musik, Kammermusik, Chorwerke, Gitarrenstücke oder Kompositionen für ganz verrückte Besetzungen. Im Rahmen meines Studiums habe ich auch viele Orchestrierungen für Blechbläserensembles geschrieben, beispielsweise das Requiem von Verdi. Einfach als Übung um zu sehen, ob ich das kann. Es ist ja auch eine sehr schöne Musik.

Musiker aus anderen Ländern schauen mitunter neidisch auf die belgische Musikausbildung. Wie sehen Sie das?

Belgien ist ein kleines Land, aber wir haben 4, 5 hervorragende Musikkonservatorien mit herausragenden Dozenten und sehr gut ausgebildeten Studenten, die zu den Musikschulen gehen. Darüber hinaus ist die Musikausbildung in Belgien bezahlbar. Die einzelnen Vereine müssen ihren Nachwuchs nicht mehr selbst ausbilden. In den flämischen Musikschulen beispielweise zahlt man für einen unter 16-Jährigen etwa 150 Euro pro Schuljahr, Privatunterricht kostet schnell 50 Euro pro Stunde. Unsere Musikschulen sind sehr gut. Ich hoffe, dass dieses Angebot bestehen bleibt.

Darüber hinaus spielt auch das Umfeld eine Rolle. Ich komme aus der Region von Peer und Achel (Provinz Limburg, A.d.R.), dort ist auch die Noordlimburgse Brassband angesiedelt. Da hat man als Jungmusiker ein gewisses Bild, wie ein Orchester aussehen kann. Wenn man in einem Dorf aufwächst, wo der Musikverein Grad 2 oder 3 spielt, oder wenn man ein kleiner Junge wie ich ist, der mit 12 Jahren in Peer mit 10, 15 Berufsmusikern und vielen Musikstudenten musiziert, dann ist dieses hohe Niveau eine Inspirationsquelle. Ich saß neben einem Trompeter, der hatte gerade sein Studium am Konservatorium in Brüssel abgeschlossen. Ich schaute zu ihm hoch und habe zuhause geübt und geübt. Ich wollte das auch spielen können. Bei mir ging das natürlich nicht so schnell (lacht).

Und Ihre Zukunft?

Ich bin häufig als Gastdirigent tätig, oft im Ausland. Die letzten Monate war ich sehr viel unterwegs, von Belgien und den Niederlanden über Frankreich und Italien bis Dubai. Das war ziemlich ‚sportlich‘. Ich treffe gerne Menschen. Das musikalische Niveau der Orchester ist nicht entscheidend für mich, sondern die Tatsache, dass sie alles geben. Überall lernt man etwas, wie die Vereine arbeiten, wie die Proben ablaufen, die Kultur,… Das finde ich äußerst inspirierend. Darüber hinaus stehen einige sehr interessante Kompositionsaufträge und Gastdirigate an.

Mein Traum ist es, spätestens in 5 Jahren auch in der sinfonischen Welt Fuß zu fassen. Ich habe bisher eine Sinfonie und ein Stück für Altsaxofon mit Sinfonieorchester geschrieben. Ich möchte daran arbeiten, damit ich auch in diesem Bereich Aufträge oder Projekte erhalte. Auch wenn ich mit dem Erreichten zufrieden bin, versuche ich immer nach vorne zu schauen. Es ist auch nicht schlimm, wenn mal etwas schief läuft. Das sage ich auch immer meinen Studenten: Wenn du es nicht versuchst, weißt du nie, ob du es nicht geschafft hättest. Man muss sich trauen.

Früher habe ich unglaublich viele Projekte angenommen. 2015 wurde ich gefragt, ob ich für Tomorrowland die Orchestrierungen schreiben würde. Der etatmäßige Orchestrator hatte einen Monat daran gearbeitet und letzten Endes das Handtuch geworfen. In aller Panik wurde ich gefragt und ich hatte anderthalb Monate Zeit für eine Stunde Musik. Ich hatte drei Halsentzündungen durch den Stress (lacht). Rational gesehen hätte ich ablehnen müssen. Aber ich bin der Meinung, dass man sich trauen muss. Dann muss man auch für ein gutes Umfeld sorgen, wenn man Unterstützung braucht. Wenn das klappt, wächst das Vertrauen und man entwickelt sich weiter.

Wie kann man sich Ihre Arbeit bei Tomorrowland vorstellen?

Zwei DJs erstellen eine digitale Vorlage von bekannten Techno-Tracks, die ich für ein großes sinfonisches Orchester „übersetze“ bzw. orchestriere. Der Auftritt dauert etwa eine Stunde. In den ersten Jahren spielte das Belgische Nationalorchester, jetzt haben wir zum ersten Mal mit einem Ad-Hoc-Orchester gearbeitet.

www.kevinhouben.be

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