Ein Großteil der Probearbeit in Chören wird bekanntlich dem Einstudieren von Noten, Text und Rhythmus gewidmet. Gerade in der Zeit der Pandemie mit regelmäßigen Probeausfällen stehen Dirigentinnen und Dirigenten vor der Frage, wie man dieses grundlegende Einstudieren der Partitur für Sänger oder Sängerinnen im musikalischen Homeoffice ermöglichen kann. Doch selbst unabhängig von Covid gibt es sicherlich durchaus das Bedürfnis, die Probearbeit zu modernisieren, um diesen oft zeitintensiven und mühsamen Teil der Arbeit im Chor durch eine gewisse Vorarbeit zu erleichtern.

Auch Projektchöre oder Ensembles, die sich nicht regelmäßig treffen wollen oder können, stehen vor der Frage: Wie können wir effizienter proben? In den Videos der Playlist „Probehilfen für Choristen“ meines YouTube-Kanals „Frickelfieber“ stelle ich verschiedene Möglichkeiten vor, zu einer existierenden, guten Aufnahme des zu probenden Werks die verschiedenen Stimmen einzusingen oder einzuspielen. Die Sängerinnen und Sänger hören somit den Chor der Originalaufnahme und dazu die zu probende Stimme.

Grob gesagt, gibt es zwei Schritte, die auf dem Weg dorthin zu bewerkstelligen sind: das Aufspüren einer geeigneten, qualitativ hochwertigen Digitalaufnahme des Originals und dann natürlich das Einspielen der verschiedenen Stimmen. Optional kann man anschließend sogar eingescannte Partituren mit dem Ton in einem Video verbinden. In diesem Artikel gehe ich allerdings nicht auf diesen Schritt ein und verweise auf die Tutorials.

Die Basis: geeignete Aufnahmen finden

Zunächst braucht man also eine passende Digitalaufnahme des neuen Stücks. Hier wird der Chorleiter oft beim Musikverlag fündig, vor allem dann, wenn eine Digitalversion der Partitur erworben wurde. Die Aufnahmen werden in diesem Fall meistens im MP3- Format ausgeliefert. Ansonsten bietet sich die klassische CD an, insofern man über das nötige Wissen verfügt, diese Audio-Daten zur Bearbeitung auf den PC zu kopieren.

Der Streamingdienst Spotify bietet klassische CD-Aufnahmen in digitaler Form an. Allerdings können diese Titel nicht heruntergeladen werden, zumindest nicht ohne einige Umwege. Wie dies auf dem Smartphone funktioniert, erkläre ich ebenfalls auf dem bereits erwähnten Kanal. Auf jeden Fall bietet Spotify Aufnahmen in besserer Qualität an, als die oft auf YouTube zu findenden Konzertmitschnitte.

Womit wir dann zu YouTube kämen. Meiner Meinung nach sollte man hier aus Qualitätsgründen an letzter Stelle suchen. Das Umwandeln von YouTube-Videos in Tondateien ist allerdings kein großes Problem - hier liegt YouTube klar im Vorteil. Dazu bedarf es lediglich der Installation des frei verfügbaren Addons „Video- downloadhelper“ im Firefox-Browser oder der Zuhilfenahme diverser Webdienste, was in meinen Videotutorials auch gezeigt wird.

Schritt zwei: das Einspielen der Stimmen

Der weitaus zeitaufwendigere Schritt umfasst das Einspielen bzw. Einsingen der verschiedenen Stimmen und gleicht vom Prinzip her der Arbeit im Tonstudio. Die Qualität des Endresultats hängt von den verwendeten Komponenten und natürlich den eigenen Fähigkeiten am Klavier oder beim Gesang ab. Dazu eine technische Erklärung: Das Szenario einer Aufnahme, die über Kopfhörer für den Musiker abgespielt wird, während dieser mit seinem Instrument gleichzeitig eine neue Tonspur zu dem Gehörten einspielt und dabei auch noch dieses Instrument hören soll, stellt auch im Jahr 2022 jeden PC vor eine schwierige Aufgabe und äußert sich in Form einer gewissen Latenz (Verzögerung) zwischen Gehörtem und Gespieltem. Diese Verzögerung macht das rhythmisch korrekte Einspielen oder Einsingen schwierig bis unmöglich. Die einzige Lösung besteht hier im Kauf einer exteren USB-Soundkarte (USB-Audiointerface), die genau auf diesen Einsatzzweck ausgelegt ist.

Da die meisten Chorleiter ein solches USB-Audiointerface nicht griffbereit in der Schublade liegen haben, stelle ich in meiner Videoreihe auch zwei alternative Wege zu einer akzeptablen Aufnahme vor. Die insgesamt drei Möglichkeiten reichen von primitiv über ordentlich bis professionell. Dementsprechend sind auch der Materialaufwand und die damit verbundenen Anschaffungskosten gestaffelt. Vorweggenommen sei an dieser Stelle, dass in Sachen Rechenleistung für unseren Verwendungszweck glücklicherweise keine großen Anforderungen bestehen. Selbst ein fünf Jahre altes Mittelklassegerät dürfte keine Probleme bereiten. Eine qualitativ möglichst hochwertige Originalaufnahme wird natürlich voraus- gesetzt. In folgender Übersicht wird das Ganze deutlicher:

 

 

 1) Die Billiglösung

2) Der Kompromiss

3) Wie im Tonstudio

Hardware

•  PC mit getrenntem Aus- und Eingang (grün / pink; nur bei älteren Geräten zu finden)

•   Smartphone

•   Kopfhörer

•  Spielzeugkeyboard oder Billigmikrofon

•  Verbindungskabel zwischen Keyboard und PC

•   Mittelklasse-PC

•   Kopfhörer

•   Keyboard mit MIDI-OUT

(das ist eigentlich Standard)

•   MIDI-USB-Kabel

•   Mittelklasse-PC

•  Studiokopfhörer (sind nach außen hin abgeschirmt, damit der Kopfhörersound nicht ins Mikro gelangt. Dies ist nur für das Einsingen relevant)

•   USB-Interface mit MIDI-IN

•   Studiomikrofon (fürs Einsingen)

•   Keyboard mit MIDI-OUT

•   Verbindungskabel

Software

Audacity (gratis)

Waveform (gratis)

Waveform (gratis)

Vorteile

•   Material ist billig oder vorhanden.

•  Keine Latenz, da auf getrennten Geräten abgespielt und aufgenommen wird.

•  Günstig, wenn man bereits über ein normales Keyboard verfügt

•  Das Einspielen per MIDI gestattet das nachträgliche Korrigieren von Fehlern beim Einspielen, was super ist.

•  Die Aufnahme erfolgt an einem Gerät (PC) und innerhalb einer Software. Dies erleichtert die Arbeit.

•  Je nach Zeitaufwand und Talent lässt sich hier ein professionelles Ergebnis erzielen.

•   Keine Latenz

•   Flüssiges Arbeiten

•  Einsingen oder Einspielen sind möglich.

•  Relativ günstig, wenn man nicht einsingen möchte.

Nachteile

 •  Man hört nicht, was man selbst einspielt. Deswegen wird das Ganze schnell ungenau.

•  Es müssen Daten zwischen Handy und PC hin- und herkopiert werden.

•  Fummelige Arbeit in der Software

•  Gefahr von Grundrauschen in der Aufnahme beim Einspielen

•  Grenzwertiger Klang beim Einsingen

•  Die Software verlangt etwas Einarbeitungszeit.

•  Es gibt eine gewisse Latenz und damit die Gefahr von Ungenauigkeiten.

•   Ein Einsingen ist so nicht möglich.

•  Die Software verlangt etwas Einarbeitungszeit.

•  Höhere Kosten, wenn man selbst Stimmen einsingen möchte.

 

 

Kosten

Eventuell: Verbindungskabel (± 10€)

Ein MIDI-USB-Kabel kostet zwischen 25 und 40€.

•  Audiointerface: ab 100€ (reicht fürs reine Einspielen aus)

•   Studiokopfhörer: ab 120€

•   Großmembranmikrofon: ab 160€

•   Zubehör (Kabel / Mikroständer): ± 60€

Fazit

Zur Not ist das akzeptabel und zum Hineinschnuppern in die Materie ganz interessant.

Mit dieser Methode lässt es sich günstig und auch relativ gut arbeiten.

Diese Investitionen lohnen sich bei regelmäßigem Gebrauch wirklich. Gerade, wenn eingespielt werden soll, kostet das Ganze lediglich 60€ mehr als bei der Kompromisslösung.

 

Ich empfehle vor dem Hintergrund jahrelangen Tüftelns im Homestudio auf jeden Fall - vor allem, wenn eine langfristige Nutzung ins Auge gefasst wird – den Kauf einer USB-Soundkarte.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Dirigentinnen und Dirigenten sich abschließend nun die Frage stellen, mit welchem Zeitaufwand zu rechnen ist. In dieser Hinsicht kann ich beruhigen. Hat man etwas Übung im Umgang mit der Soft- und Hardware, braucht man nicht wesentlich mehr Zeit als bei einer klassischen, gewissenhaften Vorbereitung auf eine normale Probe, vor allem dann, wenn ein Keyboard verwendet wird. Das Einsingen hingegen verlangt natürlich etwas mehr Geduld und gründlichere Kenntnisse der Partitur.

Lohnt sich also der Aufwand? Meiner Meinung nach kann dieser Prozess für den Chorleiter äußerst sinnvoll sein, da zwangsläufig eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk stattfindet. Ob der Chor in gleichem Maße von dieser Arbeit profitieren kann, hängt natürlich von der Motivation, dem Einsatz und dem Fleiß der jeweiligen Sängerinnen und Sänger ab. Im Idealfall wird, so sehe ich das zumindest, jedem geholfen: Der Chorleiter hat mehr Zeit für die interessanteren Aspekte des Chorgesangs, wie z.B. die musikalische Gestaltung der Werke, notenfeste Choristen müssen weniger Geduld für unerfahrene Sängerinnen und Sänger aufbringen, Amateure, Neueinsteiger oder oft Abwesende können sich vorbereiten und werden nicht gestresst oder abgehängt usw.

Schlussfolgernd möchte ich dazu ermutigen, dieser Vorgehensweise eine Chance zu geben, da sie ein Baustein für eine flexible und nachhaltige Probearbeit im Chor sein kann und wünsche viel Spaß, Mut und Erfolg beim Entdecken dieser Möglichkeiten.