Die Nachfolgerin von Dieter Gubbels: Marieke Gillessen

Frau Gillessen, Sie sind „Referentin für Ehrenamt und Vereinsarbeit im Ministerium der Deutschsprachigen Gemeinschaft“. Welches sind Ihre Aufgaben?

Als Referentin für Ehrenamt (auch freiwilliges Engagement genannt) sowie Vereinsarbeit bin ich Ansprechpartnerin für ostbelgische Freiwillige, VoG‘s und faktische Vereinigungen bzgl. der VoG- und Freiwilligen-Gesetzgebung.

Ich „übersetze“ die föderale Gesetzgebung in leichter verständliche Informationsformate wie Infoblätter, Onlinetexte und Broschüren. Ich berate ganz viel. Wenn zum Beispiel eine VoG gegründet werden soll, müssen dafür ganz bestimmte Schritte unternommen und Unterlagen beim Unternehmensgericht eingereicht werden. Diese Schritte aus dem Gesetz herauszulesen ist jedoch gar nicht so einfach. Das Unternehmensgericht selbst darf per Definition nicht dazu beraten, sondern lediglich die Anträge prüfen. Also durchforste ich das Gesetz sowie andere Quellen und spreche mit Fachleuten, um so den VoG-Gründern behilflich sein zu können.

Die Vereine bringen mir dafür sehr viel Dankbarkeit entgegen und das ist fantastisch! Ich mache meinen Beruf sehr gerne!

Außerdem organisiere ich Weiterbildungen und Veranstaltungen für diese Zielgruppe, wie beispielsweise das Seminar zum Freiwilligenmanagement, mehrere Informationsveranstaltungen, das Netzwerktreffen und den Infomarkt Ehrenamt. Was genau angeboten wird, kann man unter ostbelgienlive.be/ehrenamt nachlesen oder mich gerne anschreiben.

„Ehrenamt und Vereinsarbeit“ – sind das nicht zwei weitgehend unterschiedliche Themen?

Ja und nein. Wenn man „Vereinsarbeit“ im Sinne des Gesetzes („Loi relative au travail associatif“ vom 24. Dezember 2020) betrachtet, dann schließen Ehrenamt und Vereinsarbeit sich in der Tat häufig aus. Laut Gesetz über die Rechte der Freiwilligen vom 3. Juli 2005 darf man für ein und denselben Verein nicht sowohl Freiwilligenarbeit als auch bezahlte Nebentätigkeiten verrichten. Es sei denn, die Aufgaben des Ehrenamts unterscheiden sich deutlich von der Arbeit als Vereinsarbeiter. Das ist der technische Teil der Antwort.

Begreift man jedoch „Vereinsarbeit“ wortwörtlich als alle Arbeit im oder am Verein, so ist diese ganz häufig ehrenamtlich. Jedes musizierende Vereinsmitglied, jedes Verwaltungsratsmitglied, jeder Notenwart, jede und jeder, der beim Sommerfest Kuchen backt und Würstchen brät, arbeitet für den Verein und tut dies in der Regel ehrenamtlich. Bisher habe ich noch keine gute Definition gefunden, aber ich verstehe „Vereinsarbeit“ und „Ehrenamt“ ganzheitlich als alles, was in den Vereinen passiert. Insbesondere in den rein ehrenamtlich geführten Vereinen. Natürlich kann Ehrenamt auch in anderen Einrichtungen stattfinden.

In Bezug auf meine Aufgaben sieht das dann so aus: Im Bereich „Ehrenamt“ berate ich sowohl freiwillig Engagierte zu ihren Rechten, Pflichten und Möglichkeiten als auch Vereine und andere Einrichtungen, die mit Ehrenamtlichen zusammenarbeiten. Unter dem Begriff „Vereinsarbeit“ lässt sich insbesondere die Arbeit im Verwaltungsrat zusammenfassen. D.h., es kommen viele Menschen zu mir, die sich zu VoG-Gründung, Satzungsänderung, Auflösung einer VoG oder Zusammenschlüssen von mehreren VoG‘s etc. beraten lassen möchten. Oder sie haben beispielsweise Fragen zum Verlauf einer Generalversammlung, zur Hinterlegung des Jahresabschlusses beim Unternehmensgericht, zu Finanzen und Versicherungen oder zum UBO-Register.

Wie beurteilen Sie aus Ihrer Sicht die aktuelle Situation der Vereine – besonders der Amateurkunstvereine im Bereich Instrumentalmusik und Gesang? Welche Dienste, welche Unterstützung, welchen Mehrwert können Sie in Ihrer Tätigkeit konkret den Musikvereinen und Chören Ostbelgiens anbieten?

Die Herausforderungen für Vereine sind stark gewachsen. Der Verwaltungsaufwand wird immer größer, viele Vorstände überaltern und finden keinen Nachwuchs. Oder sie tun sich manchmal auch schwer damit, Nachwuchs mit neuen Ideen zuzulassen, sodass die Stabsübergabe schwierig und hinausgezögert wird. Auch ist die Verantwortung des Verwaltungsrats mit der neuen föderalen VoG-Gesetzgebung nicht weniger geworden.

Bei der Problematik des Verwaltungsaufwands setzt meine Arbeit an. Gemeinsam mit den ostbelgischen Dachverbänden, also auch mit Födekam, arbeiten wir aktuell an einer ganzen Serie von Hilfestellungen wie Checklisten, Mustersatzungen, Infoblättern etc. Sowohl die übergreifenden Thematiken, die für alle Vereine gültig sind, als auch die spezifischen Informationen für beispielsweise Musik-, Sport und Jugendvereine wollen wir kontinuierlich verbessern und zur Verfügung stellen. Glücklicherweise haben wir für solche und andere Projekte politischen Rückenwind.

Aufgrund meiner bisherigen Erfahrung in der Beratung vermute ich, dass die Musikvereine eher mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen haben als beispielsweise die Sportvereine. Ob dies damit zu tun hat, dass sportliche Betätigung im Rahmen eines gesunden „Life-Styles“ in aller Munde ist, es bei einem Orchester schwieriger ist, “einfach mal mitzumachen“, wenn man noch kein Instrument spielt, oder mit einem fälschlicherweise rein kirchlichen Image von Chören, kann ich nur mutmaßen. Ich habe selbst jahrelang gesungen und weiß daher, welch positiven Einfluss Gesang auf Körper und Geist hat.

Allen Vereinen, die mit den oben genannten Herausforderungen zu tun haben, rate ich, die eigenen Strukturen genau unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht ist nicht jede Vorgehensweise „die wir schon immer so gemacht haben“ wirklich noch zeitgemäß? Vielleicht ist eine Synergie mit einem anderen Verein sinnvoll? Vielleicht bietet sich statt eines klassischen Vorstands eher ein Koordinationsteam mit delegierten Aufgaben zu den Mitgliedern an? Es muss nicht immer das Triumvirat aus Präsident, Schriftführer und Kassierer sein, das die ganze Arbeit macht – jeder kann etwas beitragen. Födekam ist den Weg der Umstrukturierung ja auch gegangen und geht ihn noch.

Manchmal ist im Rahmen des Gesetzes auch mehr möglich als man annimmt. Beispielsweise steht nirgendwo geschrieben, dass eine VoG in ihrem Verwaltungsrat zwangsläufig die eben genannten Rollen vergeben muss. Lediglich der Präsident ist gesetzt. Aber er hat nur eine einzige vom Gesetz vordefinierte Aufgabe: die Protokolle des Verwaltungsrates zu unterschreiben. Alle anderen Aufgaben kann der Verein verteilen, wie er möchte. Damit kann man den Präsidenten – alleine der Begriff wiegt ja schon schwer auf den Schultern - deutlich entlasten. Viele Vereine sind überrascht, wenn ich diese Möglichkeit erwähne und fangen dann aber an, ihre eigenen Strukturen zu hinterfragen. Auch zu solchen Themen berate ich also die Vereine.

Die neue VoG-Gesetzgebung hat die Verwaltung von Vereinen und die Verantwortung der Verwalter sicherlich nicht geringer gemacht. Aber in vielen anderen Bereichen sitzen die Vereine selbst am Steuer ihrer eigenen Zukunftsfähigkeit.

Manchmal besteht meine Aufgabe auch darin, den Vereinen einen kleinen Anstupser zum Umdenken zu geben, mit ihnen zu diskutieren und sie mit den nötigen Informationen zu versorgen.

Geht es bei den Unterstützungsmöglichkeiten immer nur um Geld?

Bei meinen Unterstützungsmöglichkeiten geht es sogar nie ums Geld im Sinne von Zuschüssen. Das übernehmen andere Kolleginnen und Kollegen aus dem Ministerium. Hier kann ich natürlich bei der Suche nach Ansprechpartnern helfen.

Meine Funktion ist eine Beratungsfunktion. Von der Organisation von Weiterbildungen und Veranstaltungen sowie ganz viel Recherche jetzt einmal abgesehen.

Ihren Vorgänger Dieter Gubbels kannte man aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit. Möchten Sie sich kurz vorstellen: Wer ist Marieke Gillessen?

Ich bin in Ostbelgien aufgewachsen und hatte aufgrund meiner Familie je einen Fuß in Belgien und einen in Deutschland. Nach Etappen in Belgien, Deutschland, Frankreich und Kanada für Studium und Beruf bin ich seit 2015 im Ministerium der Deutschsprachigen Gemeinschaft beschäftigt und habe in der Kommunikation gearbeitet, bevor ich die Funktion von Dieter Gubbels übernommen habe.

Haben Sie persönliche Beziehungen zu den Vereinen oder zum Ehrenamt? Oder persönliche Erfahrungen?

Meine Berührungspunkte mit Freiwilligenarbeit sind vielfältig (Kultur, Sprache und Kommunikation, Entwicklungszusammenarbeit, Sport, Jugendarbeit, studentische Vertretung) und grenzüberschreitend (Belgien, Deutschland, Frankreich, Namibia). Mal war ich auf der Geberseite und habe mich beispielsweise in einem internationalen Freundschaftsprojekt engagiert, mal auf der Nehmerseite, wo meine Familie und ich von Sportangeboten profitierten. Wie für viele Menschen in Ostbelgien, ist das Ehrenamt selbstverständlicher Teil meines Lebens und zieht sich durch sämtliche Themen und Altersstufen.

Wenn man sich ansieht, wie viele Bereiche des ostbelgischen Gesellschaftslebens auf Vereinen basieren, wie viele Dienstleistungen von VoG‘s erbracht werden und wie viele Ostbelgier sich in Vereinen engagieren, haben wir bei uns schon eine besondere Situation. Ehrenamt und Vereinsleben sind für mich einfach nicht aus Ostbelgien wegzudenken.

Wo und wie und mit welchen Anliegen kann man Sie als Verein kontaktieren?

Mein Beratungsangebot umfasst u.a. folgende Themen:

  • Gründung und Auflösung einer VoG
  • Satzungen
  • Verwaltungsrat und Generalversammlung
  • Finanzen, Steuern, Buchführung
  • Versicherungen
  • Haftung
  • UBO-Register
  • Kostenrückerstattung für Ehrenamtliche
  • Travail associatif
  • Hinterlegungen beim Unternehmensgericht
  • Rechte der Freiwilligen
  • Möglichkeiten der Zusammenarbeit von VoGs
  • Freiwilligenmanagement

Wenn ein Thema einem Verein unter den Nägeln brennt, es sich aber in der Liste nicht wiederfindet, kann er sich gerne trotzdem melden. Ich schaue dann, ob ich helfen kann und mache mich im Zweifelsfall schlau. Natürlich bin ich keine Juristin und kann daher nicht mit rechtsverbindlichen Informationen dienen. Aber eine erste, fundierte Auskunft kann ich in vielen Fällen geben und damit kommen die Vereine in der Regel schon recht weit.

Am besten erreicht man mich unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! oder per Telefon unter 087/789 627. Viele der Unterlagen für die oben genannten Themen findet man zudem unter ostbelgienlive.be/ehrenamt in zahlreichen Artikeln und im FAQ-Bereich.