Vereine brauchen Wind in den Segeln

Wenn Sie im Internet die URL-Adresse https://ostbelgienlive.be/desktopdefault.aspx/tabid-6069/10367_read-64958/ eingeben, stoßen Sie dort auf den Satz: „Ihr Verein findet keinen Vorstand? Sie brauchen keinen!“ In dem Artikel geht es um die Führungsstrukturen von Vereinen. Der Königliche Musikverein „Zur alten Linde“ Weywertz wird als fortschrittliches Beispiel genannt. 

Unter dem angegebenen Link heißt es: „Koordinationsteam statt klassischer Verwaltungsrat. Bevor im Verein  „Zur alten Linde“ das Koordinationsteam eingesetzt wurde, galt: Die Generalversammlung wählt Präsident, Schriftführer, Kassierer sowie eventuell Beisitzer. Der Vorstand waltet seines Amtes und erledigt alle anfallenden Aufgaben im Verein.“ Und weiter liest man: „Belgische Vereine sind laut VoG-Gesetzgebung nicht verpflichtet, innerhalb ihres Verwaltungsrats bestimmte Rollen zu vergeben. Eine sinnvolle Aufgabenverteilung ist für das gute Funktionieren einer VoG mit Sicherheit ratsam. Der Gesetzgeber gibt jedoch nicht vor, wie die Aufgaben zu verteilen sind. Artikel 2.9 des „Gesetzes der Gesellschaften und Vereinigungen“ spricht nur von der Ernennung der ,Verwalter‘. Lediglich ein Vorsitzender muss bestimmt werden. Aber auch dessen Aufgabenpaket kann erleichtert werden.“

Auf dem Hintergrund dieser Anstöße und Vorgaben kann man sich einmal die Frage stellen, was ein Verein wirklich braucht, um bestehen und gut funktionieren zu können.

Bei Födekam haben wir es bekanntlich mit Vereinen zu tun, die als Instrumentalensembles, Harmonieorchester oder Chorgemeinschaften konstituiert sind. Seitdem in Belgien das Versammlungsrecht gesetzlich verankert ist, vereinen sich also Menschen um gemeinsame Interessen und pflegen gemeinschaftliche Aktivitäten, in unserem Fall das Musizieren und das Singen.

Unsere Vereine brauchen also in erster Linie Musiker und Sänger, die bereit sind, sich einem Verein, der ein entsprechendes Angebot bereithält, anzuschließen. Diese Musiker und Sänger sollten sich dessen bewusst sein, dass sie den Kern ihres gemeinsamen Interesses - nämlich das Singen bzw. Musizieren - so bedienen müssen, dass sie erfolgreich und in gutem Einverständnis funktionieren und darüber hinaus auch das gesellige Miteinander pflegen können.

Zu diesem Zweck ist es nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig, sich eine konstituierende Rechtsform zu geben. Diese Rechtsform gibt es nach belgischem Gesellschaftsrecht zum Beispiel in einer sogenannten Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, VoG (association sans but lucratif, asbl), oder auch als Faktische Vereinigung (association de fait).

Damit ist es aber nicht getan. Die gesetzlichen Vorgaben bieten zwar einen rechtlichen Rahmen an, durch den ein Verein mit seinen Zielen und Absichten auf festen Boden gestellt wird, aber ohne durchdachte Strukturen, die beschreiben, wie der Verein funktionieren soll, wird er keine Segel ausbreiten können, die einmal Wind aufnehmen müssen. Deshalb ist es unumgänglich, dass in einer allgemeinen Vereinsordnung (Statuten) die Strukturen festgehalten werden, nach denen der Verein funktionieren soll. Diese Funktionsstrukturen sollten bestmöglich auf die Mitglieder des Vereins, ihre Interessen und verschiedenartigen Aktivitäten, sowie auf die infrastrukturellen, materiellen und finanziellen Bedürfnisse zugeschnitten sein.

Zuerst kommt eine Bestandsaufnahme aller Aufgaben und Arbeiten

Konkret heißt das, dass eine Bestandsaufnahme aller Aufgaben und Arbeiten, die bei der Ausübung einer normalen Vereinstätigkeit immer wieder anfallen, vorgenommen werden muss. Wichtig ist, dass eine solche Bestandsaufnahme am Ende möglichst umfassend und komplett ist. Sie bildet die Grundlage für die Ausarbeitung eines Funktionsgerüstes, das die Vereinsaktivität tragen wird. So ein Gerüst dient dazu, alle bei der Bestandsaufnahme erkannten Aufgaben und Arbeiten so zu sortieren und zu bündeln, dass sie verschiedenen Aufgabenbereichen zugeordnet werden können.

Wer so vorgeht, wird schnell erkennen, dass es möglich ist, Aufgabenbündel zu schnüren, die später hauptverantwortlichen Koordinatoren anvertraut werden sollen. Und so in etwa könnten die zu koordinierenden Aufgabenbündel geordnet werden:

Koordinationsbereich FINANZEN, mit den Aufgaben: Allgemeine Kassenführung und Buchhaltung, Kasse bei musikalischen Veranstaltungen, Kasse bei außer musikalischen Aktivitäten, Getränkekasse bei Proben, Zuschüsse (Funktionszuschuss, Instrumenten- und Konzertzuschüsse, ...), Sponsoring, Sabam (Autorenrechte), Versicherungen, ...

Koordinationsbereich ORGANISATION, mit den Aufgaben: Aufbau Perkussion und Stühle für Proben, Getränke Proben, Materialtransporte, Ausfahrten (Bus/Auto), Auf- und Abbau bei Konzerten, Dekoration, Catering, Freizeitteam (für vereinsinterne Treffen), Maiennacht, Kirmeszelt, Konzertreisen, ...

Koordinationsbereich VERWALTUNG, mit den Aufgaben: Infos an Musiker/Sänger, Kontakte zu Aushilfen, Probeplan/Anwesenheiten, Verwaltung Jugend/Jugendorchester, Notenpartituren, Instrumente/ Material, Uniformen, Geschenke und Aufmerksamkeiten, Ehrungen, Vertretungen vereinsübergreifenden Ortsstrukturen, Vereinskomitee, ...

Koordinationsbereich PUBLIC RELATIONS / MARKETING / SEKRETARIAT, mit den Aufgaben: Vereinschronik, Ansagen/Moderation bei Konzerten, Begrüßungen/Reden, offizieller Schriftwechsel, PR-Texte/Presseberichte, Printwerbung, Webseite/Facebook, Archiv (Aufnahmen, Fotos, Videos ...), Kontakt zu den Musikverbänden, Fotos, Tonaufnahmen/Videos, ...

Da mag einer sagen: „So weit, so gut. Bis dahin ist all das aber nur reine Theorie! Vielleicht gut durchdacht, aber noch ohne antreibende Kraft für eine praktische Anwendung.“

Einem solchen Einwand ist nichts entgegenzuhalten, denn es fehlt in der Tat die lebendige Energie, mit der dem noch sterilen Korpus Leben eingehaucht werden muss. Mit anderen Worten: Was nützen gut eingestellte Segel, wenn kein Wind geht?

An dieser Stelle kommt eine Kernaussage von Alexandra Link, anerkannte und europaweit bekannte Fachreferentin für Musikverbände und Vereine, zum Tragen. Sie sagt: „Unter den geänderten Bedingungen der heutigen Zeit werden nur die Musikvereine überleben, die sich schnell und flexibel anpassen und weiterentwickeln. Und wie gelingt dies? Indem alle Musiker am Verein arbeiten und nicht nur mitspielen.“

Alle müssen am Verein mitarbeiten

Eine Garantie für einen erfolgreichen und gesunden Fortbestand unserer Vereine und Chöre kann natürlich niemand geben. Dennoch werden die besseren Chancen auf der Seite derjenigen liegen, die vor - ausschauend und flexibel in die Zukunft schauen. Für einen Verein bedeutet das, dass alle an dem Verein, den sie bilden, mitarbeiten und sich nicht auf das alleinige Mitmusizieren oder Mitsingen beschränken dürfen.

Der Verein braucht, soll er gut funktionieren, in der Tat etwas mehr als „nur“ das. Womit nicht gesagt sein soll, dass Musik und Gesang nicht den unverrückbaren Kern der Vereinsaktivität bilden. Aber diese Kernaktivität muss auch bedient werden. Das Schiff kann sich nur fortbewegen, wenn in den gesetzten Segeln der richtige Wind weht.

Mit anderen Worten: Jedes Vereinsmitglied muss über das Musizieren und Singen hinaus auch eine Versorgungsaufgabe wahrnehmen und erfüllen. Jeder muss über die Funktionsstrukturen, die sich der Verein gegeben hat, so eingebunden werden, dass er in einem oder mehreren Koordinationsbereichen eine Aufgabe übernimmt.

Der Vorteil einer solchen Arbeitsweise besteht darin, dass jedes Mitglied über eine Mitversorgungaufgabe in die Vereinsarbeit eingebunden und dabei von einem Koordinator betreut wird, der weiß, für welchen ihm zugeordneten Aufgabenbereich er die Koordination verantwortet, ohne alle in diesem Bereich anfallenden Arbeiten auch selber tun zu müssen.

Auf diese Weise werden die traditionellen Vorstandsämter - Präsident, Schriftführer Kassierer - entlastet, und zwar so, dass es am Ende wieder überschaubar und interessant wird, im Verein eine Koordinationsverantwortung oder eine andere konkrete Aufgabe zu übernehmen, wohl wissend, dass alle Vereinskollegen das gleiche tun, weil auch sie in die Vereinsarbeit eingebunden sind, um das Schiff auf Kurs zu halten.

Wenn bei der Arbeitsverteilung dann auch noch darauf geachtet wird, dass jeder eine Aufgabe bekommen kann, die er auch wirklich gerne wahrnimmt, weil er dafür die nötigen Fähigkeiten besitzt, dürften das die besten Voraussetzungen sein für den Aufwind, den Vorstände und Vereine brauchen.

Auch Alexandra Link rät, gedanklich nicht den Vorstand an die Spitze des Vereins zu stellen. Vielmehr steht der Verein mit all seinen Mitgliedern im Zentrum. „Ihn umgibt idealerweise eine Organisationsstruktur mit verschiedenen Bereichen oder Teams, die aus Teammitgliedern bestehen, die jeweils wiederum Arbeitsgruppen bilden können. Die Bereiche funktionieren selbstorganisiert. Die Person mit der größten Kompetenz in diesem Bereich fungiert als Manager dieses Bereichs. Die Manager der einzelnen Bereiche bilden den Vorstand“ ... oder das Koordinationsteam, wie es nach einer gut verlaufenen Übergangszeit beim Musikverein „Zur alten Linde“ in Weywertz